BGH, Beschluss vom 22.07.2020, AZ XII ZB 131/20

Ausgabe: 08-2020Familienrecht

Der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erneut mit dem seit dem 22. Juli 2017 geltenden Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen zu befassen. Mit Beschluss vom 14. November 2018 hatte er dem Bundesverfassungsgericht (dortiges Aktenzeichen 1 BvL 7/18) die Frage vorgelegt, ob die Qualifizierung einer unter Beteiligung eines nach ausländischem Recht ehemündigen, bei Eheschließung noch nicht 16 Jahre alten Minderjährigen geschlossenen Ehe nach deutschem Recht ohne einzelfallbezogene Prüfung als Nicht ehe verfassungsgemäß ist. Nun war zu klären, unter welchen Voraussetzungen die Auslandsehe einer bei Eheschließung 16, aber noch nicht 18 Jahre alten Person nach deutschem Recht aufhebbar ist. Der Bundesgerichtshof ist dabei im Wege einer sog. verfassungskonformen Auslegung zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Gericht bei der Aufhebungsentscheidung ein eingeschränktes Ermessen eingeräumt ist.

a) Die Aufhebbarkeit einer Auslandsehe, die mit einem Ehegatten geschlossen worden ist, der bei Eheschließung zwar das 16., aber nicht das 18. Lebensjahr vollendet hatte, richtet sich nach §§ 1313 ff. BGB in der aktuell geltenden Fassung. Die Überleitungsvorschriften der Art. 229 § 44 Abs. 1 und 2 EGBGB sind auf solche Ehen nicht – auch nicht entsprechend – anzuwenden.
b) Ob einer der von § 1316 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BGB genannten Gesetzesverstöße vorliegt, bei denen die zuständige Verwaltungsbehörde berechtigt ist, einen Antrag auf Eheaufhebung zu stellen, ist keine Frage der Antragsberechtigung, sondern eine der Begründetheit des Antrags (Abgrenzung zu Senatsurteil vom 11. April 2012 – XII ZR 99/10 -FamRZ 2012, 940).
c) Für die Bestätigung der Ehe ist zwar die positive Kenntnis des Ehegatten von ihrer Aufhebbarkeit nicht erforderlich. Er muss aber die den Ehemangel begründenden Tatsachen kennen und wenigstens ein allgemeines Bewusstsein davon haben, dass er die Ehe wegen des Eingehungsmangels zur Auflösung bringen kann oder dass Zweifel an ihrer Gültigkeit bestehen und er durch sein Verhalten ein möglicherweise vorhandenes Aufhebungsrecht aufgibt.
d) Die Norm des § 1314 Abs. 1 Nr. 1 BGB räumt dem Richter für die Frage, ob die Ehe bei Vorliegen des Aufhebungsgrundes aufzuheben ist, ein eingeschränktes Ermessen ein. Fehlt in diesen Fällen ein Ausschlussgrund gemäß § 1315 Abs. 1 Satz 1 BGB , kann von einer Eheaufhebung ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn feststeht, dass die Aufhebung in keiner Hinsicht unter Gesichtspunkten des Minderjährigenschutzes geboten ist, sondern vielmehr gewichtige Umstände gegen sie sprechen.

Weitere Informationen: http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/recht…