(Stutt­gart) Die im Zwei­ten Erb­rechts­gleich­stel­lungs­ge­setz vom 12. April 2011 ent­hal­te­ne Stich­tags­re­ge­lung ist verfassungsgemäß. 

Dies, so der Stutt­gar­ter Fach­an­walt für Erbrecht Micha­el Henn, Vize­prä­si­dent und geschäfts­füh­ren­des Vor­stands­mit­glied der Deut­schen Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V. (DANSEF) mit Sitz in Stutt­gart, hat die 2. Kam­mer des Ers­ten Senats des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG) in einem am 17.04.2013 ver­öf­fent­lich­ten Beschluss vom 18.03.2013 (Az. 1 BvR 2436/11 und 1 BvR 3155/11 entschieden.

Der Gesetz­ge­ber hat ent­schie­den, die voll­stän­di­ge erb­recht­li­che Gleich­stel­lung der vor dem 1. Juli 1949 gebo­re­nen nicht­ehe­li­chen Kin­der auf Erb­fäl­le ab dem 29. Mai 2009 zu beschrän­ken. Hier­mit hat er sei­nen Spiel­raum bei der Gestal­tung von Stich­tags- und ande­ren Über­gangs­vor­schrif­ten nicht überschritten.

• Der Ent­schei­dung lie­gen im Wesent­li­chen die fol­gen­den Erwä­gun­gen zugrunde:

1. Die Beschwer­de­füh­rer sind jeweils vor dem 1. Juli 1949 gebo­re­ne nicht­ehe­li­che Kin­der. Sie machen Rech­te aus Erb­fäl­len vor dem 29. Mai 2009 geltend.

2. Nach der ursprüng­li­chen Fas­sung des Bür­ger­li­chen Gesetz­buchs stand nicht­ehe­li­chen Kin­dern ein gesetz­li­ches Erbrecht oder ein Pflicht­teils­recht nur gegen­über ihrer Mut­ter und den müt­ter­li­chen Ver­wand­ten zu. Ein Ver­wandt­schafts­ver­hält­nis zwi­schen nicht­ehe­li­chen Kin­dern und ihrem Vater bestand nicht. Die letzt­ge­nann­te Rege­lung hat der Gesetz­ge­ber mit Wir­kung zum 1. Juli 1970 auf­ge­ho­ben (Gesetz über die recht­li­che Stel­lung nicht­ehe­li­cher Kin­der vom 19. August 1969 — NEhelG, BGBl I S. 1243). Nach der Über­gangs­re­ge­lung des Art. 12 Nr. I § 10 NEhelG galt jedoch für die vor dem 1. Juli 1949 gebo­re­nen Kin­der das alte Recht fort. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat­te die­se Über­gangs­re­ge­lung mehr­fach zu über­prü­fen und hielt sie für noch ver­fas­sungs­ge­mäß. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te sah hier­in jedoch eine Ver­let­zung von Art. 14 in Ver­bin­dung mit Art. 8 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on (Urteil vom 28. Mai 2009 — 3545/04 -, Brauer/Deutschland).

Der Gesetz­ge­ber nahm die­ses Urteil zum Anlass, die vor­ge­nann­te Über­gangs­re­ge­lung anzu­pas­sen (Zwei­tes Erb­rechts­gleich­stel­lungs­ge­setz vom 12. April 2011 — ZwErb­GleichG, BGBl I S. 615). Für Erb­fäl­le vor dem 29. Mai 2009, bei denen der Nach­lass nicht an den Staat gefal­len war, blieb es jedoch beim Stich­tag 1. Juli 1949.

3. Im Ver­fah­ren 1 BvR 2436/11 begehrt der 1943 gebo­re­ne Beschwer­de­füh­rer die Ertei­lung eines Allein­erb­scheins. Er ist das ein­zi­ge Kind des 2007 ver­stor­be­nen Erb­las­sers, der die Vater­schaft im Jahr 1944 aner­kannt hat. Sein Antrag blieb im Aus­gangs­ver­fah­ren in allen Instan­zen erfolglos.

Im Ver­fah­ren 1 BvR 3155/11 macht der 1940 gebo­re­ne Beschwer­de­füh­rer Pflicht­teils­an­sprü­che gel­tend. Der 2006 ver­stor­be­ne Erb­las­ser wur­de zunächst 1941 und sodann noch­mals 1949 zur Zah­lung von Kin­des­un­ter­halt für den Beschwer­de­füh­rer ver­ur­teilt. Tes­ta­men­ta­ri­sche Allein­er­bin ist die Toch­ter des Erb­las­sers aus einer spä­te­ren Ehe. Die gegen sie gerich­te­te Kla­ge blieb im Aus­gangs­ver­fah­ren in allen Instan­zen erfolglos.

4. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­den sind nicht zur Ent­schei­dung anzu­neh­men, weil die Vor­aus­set­zun­gen hier­für nicht vor­lie­gen. Sie sind nicht begrün­det, da die Über­gangs­re­ge­lung des Zwei­ten Erb­rechts­gleich­stel­lungs­ge­set­zes ver­fas­sungs­ge­mäß ist und ihre Anwen­dung durch die ordent­li­chen Gerich­te in den vor­lie­gen­den Fäl­len von Ver­fas­sungs wegen nicht zu bean­stan­den ist.

a) Der Prü­fungs­maß­stab ist in ers­ter Linie aus Art. 6 Abs. 5 GG zu ent­neh­men. Die­ses Grund­recht ent­hält eine Wert­ent­schei­dung, die der Gesetz­ge­ber auch im Rah­men des all­ge­mei­nen Gleich­heits­sat­zes zu beach­ten hat. Die­se Wert­ent­schei­dung kann auch dann ver­fehlt wer­den, wenn die gesetz­li­che Rege­lung ein­zel­ne Grup­pen nicht­ehe­li­cher Kin­der im Ver­hält­nis zu ande­ren Grup­pen schlech­ter stellt. Eine tat­be­stand­li­che Dif­fe­ren­zie­rung inner­halb der Grup­pe der nicht­ehe­li­chen Kin­der fin­det sich in der Neu­re­ge­lung nicht mehr. Zu prü­fen bleibt indes, ob die Abgren­zung des zeit­li­chen Anwen­dungs­be­reichs des alten und des neu­en Rechts mit dem all­ge­mei­nen Gleich­heits­satz ver­ein­bar ist.

b) Mit dem Zwei­ten Erb­rechts­gleich­stel­lungs­ge­setz wird pri­mär nicht mehr nach einem per­sön­li­chen Merk­mal — dem Geburts­da­tum -, son­dern nach einem zufäl­li­gen, von außen kom­men­den Ereig­nis — dem Datum des Erb­falls — dif­fe­ren­ziert, so dass die Ungleich­be­hand­lung nun­mehr von gerin­ge­rer Inten­si­tät ist.

c) Die ver­fas­sungs­recht­li­che Prü­fung von Stich­tags- und ande­ren Über­gangs­vor­schrif­ten muss sich auf die Fra­ge beschrän­ken, ob der Gesetz­ge­ber den ihm zukom­men­den Spiel­raum in sach­ge­rech­ter Wei­se genutzt hat, ob er die für die zeit­li­che Anknüp­fung in Betracht kom­men­den Fak­to­ren hin­rei­chend gewür­digt hat und die gefun­de­ne Lösung sich im Hin­blick auf den gege­be­nen Sach­ver­halt und das Sys­tem der Gesamt­re­ge­lung durch sach­li­che Grün­de recht­fer­ti­gen lässt oder als will­kür­lich erscheint.

Im Übri­gen ent­spricht es der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, dass der Gesetz­ge­ber einen mit dem Grund­ge­setz unver­ein­ba­ren Rechts­zu­stand nicht rück­wir­kend besei­ti­gen muss, wenn die Ver­fas­sungs­rechts­la­ge bis­her nicht hin­rei­chend geklärt war. Dies muss erst recht in einem Fall wie dem vor­lie­gen­den gel­ten, in dem die Ver­fas­sungs­mä­ßig­keit der bis­he­ri­gen Rechts­la­ge mehr­fach durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt aus­drück­lich bestä­tigt wurde.

d) Den hier­nach eröff­ne­ten Spiel­raum hat der Gesetz­ge­ber nicht über­schrit­ten. Wie sich aus den Geset­zes­ma­te­ria­li­en ergibt, hat er im Lau­fe des Gesetz­ge­bungs­ver­fah­rens die für und gegen die getrof­fe­ne Rege­lung spre­chen­den sach­li­chen Argu­men­te sorg­fäl­tig abge­wo­gen. Ins­be­son­de­re hat der Gesetz­ge­ber grund­sätz­lich berück­sich­tigt, dass dem Schutz des Ver­trau­ens der Väter nicht­ehe­li­cher Kin­der und deren erb­be­rech­tig­ter Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen nach der Ent­schei­dung des Gerichts­hofs vom 28. Mai 2009 nicht mehr der glei­che Stel­len­wert zukom­men konn­te wie bis­her ange­nom­men. Aller­dings müs­se dann ande­res gel­ten, wenn der Erb­fall bereits ein­ge­tre­ten und damit das Ver­mö­gen des Erb­las­sers bereits im Wege der Gesamt­rechts­nach­fol­ge auf die nach gel­ten­dem Recht beru­fe­nen Erben über­ge­gan­gen sei, da eine Ent­zie­hung die­ser Rechts­stel­lung eine ech­te Rück­wir­kung bedeu­tet hät­te, die ver­fas­sungs­recht­lich nur in engen Aus­nah­me­fäl­len mög­lich sei.

e) Der Gesetz­ge­ber war auch nicht durch die Ent­schei­dung des Euro­päi­schen Gerichts­hofs für Men­schen­rech­te vom 28. Mai 2009 gehal­ten, eine wei­ter­ge­hen­de Rück­wir­kung vor­zu­se­hen. Der Gerichts­hof hat bereits im Jahr 1979 klar­ge­stellt, dass Hand­lun­gen oder Rechts­la­gen, die vor der Ver­kün­dung eines Urteils lägen, nicht in Fra­ge gestellt wer­den müss­ten; dies fol­ge aus dem Prin­zip der Rechtssicherheit.

f) Die Aus­le­gung und Anwen­dung der Über­gangs­re­ge­lung durch die ordent­li­chen Gerich­te in den vor­lie­gen­den Fäl­len ist von Ver­fas­sungs wegen nicht zu bean­stan­den. Es ist nicht ersicht­lich, dass die Gerich­te aus ver­fas­sungs­recht­li­cher Sicht gehal­ten gewe­sen wären, die Neu­re­ge­lung über ihren Wort­laut hin­aus rück­wir­kend auf die Fäl­le der Beschwer­de­füh­rer anzu­wen­den. Ob eine sol­che teleo­lo­gi­sche Erwei­te­rung in bestimm­ten Fäl­len, die in tat­säch­li­cher Hin­sicht dem durch den Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te im Urteil vom 28. Mai 2009 ent­schie­de­nen ver­gleich­bar waren, in Betracht kommt, kann offen blei­ben. Die Aus­gangs­ver­fah­ren bie­ten zur abschlie­ßen­den Beant­wor­tung die­ser Fra­ge kei­nen Anlass.
Henn riet, das zu beach­ten und in Zwei­fels­fäl­len recht­li­chen Rat ein­zu­ho­len, wobei er u. a. auch auf die Anwälte/ — innen in der DANSEF Deut­sche Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V., — www.dansef.de — verwies.

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