(Stutt­gart) Der u.a. für Ansprü­che aus Eigen­tum an beweg­li­chen Sachen zustän­di­ge V. Zivil­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat ent­schie­den, dass der Eigen­tü­mer eines durch natio­nal­so­zia­lis­ti­sches Unrecht ent­zo­ge­nen Kunst­werks, die­ses nach all­ge­mei­nen zivil­recht­li­chen Vor­schrif­ten (§ 985 BGB) von dem heu­ti­gen Besit­zer her­aus­ver­lan­gen kann, wenn das Kunst­werk nach dem Krieg ver­schol­len war und des­halb nicht nach den Vor­schrif­ten des alli­ier­ten Rück­erstat­tungs­rechts zurück­ver­langt wer­den konnte.

Dar­auf ver­weist der Stutt­gar­ter Fach­an­walt für Erbrecht Micha­el Henn, Vize­prä­si­dent und geschäfts­füh­ren­des Vor­stands­mit­glied der Deut­schen Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V. (DANSEF) mit Sitz in Stutt­gart, unter Hin­weis auf die Mit­tei­lung des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) vom 16. März 2012 zu sei­nem Urteil vom sel­ben Tage, Az.: V ZR 279/10.

Die Ent­schei­dung betrifft die kul­tur­his­to­risch wert­vol­le Pla­kat­samm­lung des jüdi­schen Zahn­arz­tes Dr. Hans Sachs, die sich heu­te im Besitz des Deut­schen His­to­ri­schen Muse­ums, einer Stif­tung Öffent­li­chen Rechts, befin­det. Das Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­um ließ die Samm­lung 1938 aus der Woh­nung von Dr. Sachs in Ber­lin-Schö­ne­berg weg­neh­men. Dr. Sachs emi­grier­te Ende 1938 in die USA. Nach dem Krieg war die Samm­lung ver­schol­len. Für ihren Ver­lust bekam Dr. Sachs 1961 im Ver­gleichs­weg eine Wie­der­gut­ma­chungs­zah­lung von 225.000 DM nach dem Bun­des­rück­erstat­tungs­ge­setz. Erst spä­ter erfuhr er, dass Tei­le der Samm­lung in einem Muse­um der DDR auf­ge­taucht waren. Dr. Sachs starb 1974 und wur­de von sei­ner Frau beerbt. Sie starb 1998, ohne nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung irgend­wel­che Ansprü­che wegen der Samm­lung erho­ben zu haben. Sie wur­de von dem Klä­ger, dem Sohn Dr. Sachs”, beerbt.

Der Klä­ger hat von dem Deut­schen His­to­ri­schen Muse­um (Beklag­te) zunächst die Her­aus­ga­be von zwei Pla­ka­ten (“Dog­ge” und “Die blon­de Venus”) ver­langt. Die Beklag­te woll­te im Wege der Wider­kla­ge fest­ge­stellt wis­sen, dass der Klä­ger nicht Eigen­tü­mer der Pla­kat­samm­lung sei, hilfs­wei­se, dass er nicht berech­tigt sei, die in ihrem Besitz befind­li­chen Pla­ka­te her­aus zu ver­lan­gen. Das Land­ge­richt Ber­lin hat die Beklag­te zur Her­aus­ga­be des Pla­kats “Dog­ge” ver­ur­teilt und wei­ter­ge­hen­de Kla­ge sowie die Wider­kla­ge abge­wie­sen. Auf die Beru­fung des Muse­ums hat das Kam­mer­ge­richt — unter Abwei­sung aller übri­gen Anträ­ge — gemäß dem Hilfs­wi­der­kla­ge­an­trag der Beklag­ten fest­ge­stellt, dass der Klä­ger nicht berech­tigt ist, die sich im Besitz der Beklag­ten befind­li­chen Pla­ka­te aus der Samm­lung sei­nes Vaters her­aus zu verlangen.

Die Revi­si­on des Klä­gers hat­te Erfolg. Der Bun­des­ge­richts­hof hat das erst­in­stanz­li­che Urteil wie­der­her­ge­stellt, so Henn.

Die Her­aus­ga­be des Pla­kats “Die blon­de Venus”, wel­ches nicht zwei­fels­frei der Samm­lung Sachs zuge­ord­net wer­den konn­te, hat­te der Klä­ger zuletzt nicht mehr ver­langt. Die Anschluss­re­vi­si­on der Beklag­ten, mit der die­se den Haupt­wi­der­kla­ge­an­trag (Fest­stel­lung, dass der Klä­ger nicht Eigen­tü­mer der Pla­kat­samm­lung ist) wei­ter­ver­folgt hat­te, hat der Bun­des­ge­richts­hof zurück­ge­wie­sen. Damit ist fest­ge­stellt, dass der Klä­ger Eigen­tü­mer der Pla­kat­samm­lung ist und die­se von der Beklag­ten her­aus­ver­lan­gen kann.

Der Bun­des­ge­richts­hof ist, wie schon das Kam­mer­ge­richt, davon aus­ge­gan­gen, dass Dr. Sachs das Eigen­tum an der Pla­kat­samm­lung zu kei­ner Zeit ver­lo­ren hat. Ins­be­son­de­re ließ sich nicht fest­stel­len, dass er die Samm­lung, die sich bis zur Weg­nah­me im Jahr 1938 in sei­nem Besitz befand, zuvor an einen zum Ankauf berei­ten Ban­kier über­eig­net hat­te. Der Zugriff des Reichs­pro­pa­gan­da­mi­nis­te­ri­ums änder­te die Eigen­tums­ver­hält­nis­se nicht, denn es han­del­te sich um eine Weg­nah­me ohne förm­li­chen Ent­eig­nungs­akt. Dass die 11. Ver­ord­nung zum Reichs­bür­ger­ge­setz von 1941, in wel­cher der Ver­fall jüdi­schen Ver­mö­gens ange­ord­net wur­de, wegen ihres Unrechts­ge­halts kei­ne Rechts­wir­kun­gen zu erzeu­gen ver­moch­te, hat der Bun­des­ge­richts­hof bereits 1955 entschieden.

Die beson­de­ren Rege­lun­gen über die Wie­der­gut­ma­chung natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Unrechts ver­drän­gen nicht den zivil­recht­li­chen Eigen­tums­her­aus­ga­be­an­spruch (§ 985 BGB) des Klä­gers. Das Ver­mö­gens­ge­setz fin­det hier kei­ne Anwen­dung, weil die Weg­nah­me der Pla­kat­samm­lung nicht im (spä­te­ren) Bei­tritts­ge­biet, son­dern im West­teil Ber­lins statt­fand. Die Vor­schrift des Art. 51 Satz 1 der Rück­erstat­tungs­an­ord­nung für das Land Ber­lin (REAO*) und das Bun­des­rück­erstat­tungs­ge­setz schlie­ßen den Anspruch eben­falls nicht aus. Zwar hat der Bun­des­ge­richts­hof in den 1950er Jah­ren ent­schie­den, dass Ansprü­che, die sich aus der Unrecht­mä­ßig­keit einer natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ent­eig­nungs­maß­nah­me erge­ben, grund­sätz­lich nur nach Maß­ga­be der zur Wie­der­gut­ma­chung erlas­se­nen Rück­erstat­tungs- und Ent­schä­di­gungs­ge­set­ze und in dem dort vor­ge­se­he­nen Ver­fah­ren ver­folgt wer­den kön­nen. Die­sen Vor­schrif­ten kommt aber dann kein Vor­rang gegen­über einem Her­aus­ga­be­an­spruch nach § 985 BGB zu, wenn der ver­fol­gungs­be­dingt ent­zo­ge­ne Ver­mö­gens­ge­gen­stand — wie hier und anders als in den bis­lang durch den Bun­des­ge­richts­hof ent­schie­de­nen Fäl­len — nach dem Krieg ver­schol­len war und erst nach Ablauf der Anmel­de­frist für Rück­erstat­tungs­an­sprü­che (hier gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 REAO am 30. Juni 1950) wie­der auf­ge­taucht ist. War der Ver­bleib des ent­zo­ge­nen Gegen­stands bis zum Ablauf die­ser Frist unbe­kannt, konn­te der Geschä­dig­te im Rah­men des Rück­erstat­tungs­ver­fah­rens nicht des­sen Rück­ga­be errei­chen, son­dern nur eine Ent­schä­di­gung in Geld ver­lan­gen. Blie­be es auch nach Wie­der­auf­tau­chen des ent­zo­ge­nen Gegen­stands dabei, wäre dem Geschä­dig­ten — trotz fort­be­stehen­den Eigen­tums — durch die alli­ier­ten Rück­erstat­tungs­vor­schrif­ten jede Mög­lich­keit genom­men, die Wie­der­her­stel­lung des recht­mä­ßi­gen Zustands zu ver­lan­gen. Auf die­se Wei­se wür­de das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Unrecht per­p­etu­iert. Das ist jedoch mit dem Zweck der alli­ier­ten Rück­erstat­tungs­vor­schrif­ten, die Inter­es­sen der Geschä­dig­ten zu schüt­zen, nicht zu vereinbaren.

Der Her­aus­ga­be­an­spruch ist ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Kam­mer­ge­richts nicht ver­wirkt. Dass er in den ers­ten 16 Jah­ren nach der Wie­der­ver­ei­ni­gung nicht gel­tend gemacht wor­den ist, genügt nicht hier­für nicht.

Henn riet, das zu beach­ten und in Zwei­fels­fäl­len recht­li­chen Rat ein­zu­ho­len, wobei er u. a. auch auf die Anwälte/ — innen in der DANSEF Deut­sche Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V., — www.dansef.de — verwies.

 

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