(Stutt­gart) Ver­er­ben ver­mö­gen­de Eltern ihrem behin­der­ten Kind einen Erb­teil mit­tels eines sog. Behin­der­ten­tes­ta­ments in der Wei­se, dass das Kind auch beim Erb­fall wei­ter­hin auf Leis­tun­gen der Sozi­al­hil­fe ange­wie­sen ist, ist das Tes­ta­ment nicht bereits des­we­gen sit­ten­wid­rig und nichtig.

Das, so der Stutt­gar­ter Fach­an­walt für Erbrecht Henn, Vize­prä­si­dent der Deut­schen Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e.V., mit dem Sitz in Stutt­gart, unter Hin­weis auf die Mit­tei­lung Gerichts vom 15.02.2017, hat der 10. Zivil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm am 27.10.2016 (Az. (10 U 13/16) unter Fort­füh­rung höchst­rich­ter­li­cher Recht­spre­chung (Urteil des Bun­des­ge­richts­hofs vom 20.10.1993, Az. IV ZR 231/92) und Bestä­ti­gung des erst­in­stanz­li­chen Urteils des Land­ge­richts Essen entschieden.

Die ver­mö­gen­den Ehe­leu­te aus Sprock­hö­vel sind die Eltern drei­er Kin­der, unter ande­rem des heu­te 40 Jah­re alten Soh­nes mit einem gene­tisch beding­ten Down-Syn­drom. Der Sohn lebt in einem Behin­der­ten­wohn­heim in Wup­per­tal und steht unter gesetz­li­cher Betreu­ung. Von dem im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren kla­gen­den Land­schafts­ver­band West­fa­len-Lip­pe wird er seit dem Jah­re 2002 in sei­nem Lebens­un­ter­halt mit staat­li­chen Leis­tun­gen unter­stützt, die sich bis zum Jah­re 2014 auf ins­ge­samt ca. 106.000 Euro beliefen.

Im Jah­re 2000 errich­te­ten die Eltern ein gemein­schaft­li­ches Tes­ta­ment in Form eines sog. Behin­der­ten­tes­ta­ments. Durch des­sen Rege­lun­gen soll­te der Erb­teil des behin­der­ten Soh­nes bei einem Erb­fall dem Klä­ger als Trä­ger der Sozi­al­hil­fe dau­er­haft ent­zo­gen wer­den. Das Tes­ta­ment sieht des­we­gen vor, dass die Eltern ihrem geis­tig behin­der­ten Kind jeweils einen Anteil in Höhe des 1,1‑fachen Pflicht­teils als Vor­er­ben hin­ter­las­sen und für die­se Erb­tei­le bis zum Verster­ben des Soh­nes eine Dau­er­tes­ta­ments­voll­stre­ckung ange­ord­net ist. Nach den tes­ta­men­ta­ri­schen Anord­nun­gen hat der Tes­ta­ments­voll­stre­cker jeden Erb­teil des behin­der­ten Soh­nes so zu ver­wal­ten, dass dem behin­der­ten Sohn nur so vie­le Mit­tel — zur Finan­zie­rung per­sön­li­cher Inter­es­sen und Bedürf­nis­se — zur Ver­fü­gung stellt wer­den, dass ihm ande­re Zuwen­dun­gen und ins­be­son­de­re staat­li­che Leis­tun­gen nicht ver­lo­ren gehen. Beim Verster­ben des behin­der­ten Soh­nes fal­len sei­ne Erb­tei­le den dann noch leben­den Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zu, die das Tes­ta­ment inso­weit als Nach­er­ben bestimmt.

Im Jah­re 2010 ist die sei­ner­zeit 68 Jah­re alte Mut­ter ver­stor­ben. Der nach ihrem Tod aus­ge­stell­te Erb­schein weist den behin­der­ten Sohn als Mit­er­ben mit einem Anteil von 0,1375 und den heu­te 81 Jah­re alten Vater sowie die bei­den ande­ren Geschwis­ter mit Erb­tei­len von ins­ge­samt 0,8625 Antei­len aus. Dabei kam dem Erb­teil des behin­der­ten Soh­nes ein Wert von über 960.000 Euro zu.

Im vor­lie­gen­den Rechts­streit hat der Klä­ger als Trä­ger der Sozi­al­hil­fe auf sich — vom behin­der­ten Sohn — gesetz­lich über­ge­lei­te­te Pflicht­teils- und Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprü­che nach dem Tode der Mut­ter gegen den über­le­ben­den Vater und die bei­den Geschwis­ter als Beklag­te gel­tend gemacht. Im Wege einer so genann­ten Stu­fen­kla­ge ver­langt er zunächst umfas­sen­de Aus­kunft über den Bestand des Nach­las­ses. Dabei ver­tritt der Klä­ger die Auf­fas­sung, dass der behin­der­te Sohn ohne tes­ta­men­ta­ri­sche Beschrän­kun­gen pflicht­teils­be­rech­tigt sei, weil das Tes­ta­ment aus dem Jah­re 2000 sit­ten­wid­rig und damit unwirk­sam sei. Dem Sohn stün­den Pflicht­teils- und Pflicht­teils­er­gän­zungs­an­sprü­che in Höhe von über 930.000 Euro zu, die aus­reich­ten, um die Kos­ten für die als sta­tio­nä­re Ein­glie­de­rungs­hil­fe zu leis­ten­de Sozi­al­hil­fe bis zu sei­nem Lebens­en­de zu bezahlen.

Die Kla­ge ist in ers­ter Instanz erfolg­los geblie­ben, weil das Land­ge­richt das Tes­ta­ment als rechts­wirk­sam ange­se­hen hat.

Die Beru­fung des Klä­gers ist über­wie­gend erfolg­los geblie­ben. Der 10. Zivil­se­nat des Ober­lan­des­ge­richts Hamm hat die Wirk­sam­keit des sog. Behin­der­ten­tes­ta­ments bestä­tigt und die Aus­kunfts­an­sprü­che des Klä­gers abge­wie­sen, soweit sie von einem unwirk­sa­men Tes­ta­ment aus­ge­hen. Aus­kunft kann der Klä­ger nach der Ent­schei­dung des 10. Zivil­se­nats aller­dings über — mög­li­cher­wei­se aus­glei­chungs­pflich­ti­ge — Schen­kun­gen vor dem Ein­tritt des Erb­falls bean­spru­chen, weil die Beklag­ten die­se Aus­kunft auch bei einem wirk­sa­men Tes­ta­ment zu ertei­len haben.

Das sog. Behin­der­ten­tes­ta­ment sei nicht sit­ten­wid­rig, so der Senat. Aus­ge­hend von der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs kön­ne ein Erb­las­ser im Rah­men sei­ner Tes­tier­frei­heit ein behin­der­tes Kind bei der Erb­fol­ge benach­tei­li­gen. Erst das gesetz­li­che Pflicht­teils­recht begrenz­te sei­ne Tes­tier­frei­heit. Dem Pflicht­teils­recht genü­ge das infra­ge ste­hen­de Tes­ta­ment, weil der dem behin­der­ten Sohn zuge­dach­te Erb­teil über dem gesetz­li­chen Pflicht­teil liege.

Das Tes­ta­ment sei auch nicht des­we­gen sit­ten­wid­rig, weil die Eltern eine Tes­ta­ments­voll­stre­ckung ange­ord­net hät­ten. Mit die­ser hät­ten die Eltern sicher­stel­len wol­len, dass ihrem behin­der­ten Sohn der Erb­teil auf Dau­er erhal­ten blei­be. Aus dem Erb­teil soll­ten Annehm­lich­kei­ten und The­ra­pien finan­ziert wer­den kön­nen, die vom Trä­ger der Sozi­al­hil­fe nicht oder nur zum Teil bezahlt wür­den. Die mit die­ser Maß­ga­be ange­ord­ne­te Tes­ta­ments­voll­stre­ckung sei kei­ne sit­ten­wid­ri­ge Ziel­set­zung. Die Eltern hät­ten die­se recht­li­che Kon­struk­ti­on für ihrem bei der Tes­ta­ments­er­rich­tung erst 24 Jah­re alten behin­der­ten Sohn wäh­len dür­fen, weil sei­ner­zeit nicht abseh­bar gewe­sen sei, ob die vom Klä­ger im Rah­men der sta­tio­nä­ren Ein­glie­de­rungs­hil­fe bezahl­ten Kos­ten auch künf­tig aus­rei­chen wür­den, um die ange­streb­te Ver­sor­gung ihres Soh­nes auch nach ihrem Tod sicherzustellen.

Die Anord­nung der Vor- und Nach­erbfol­ge, die im Ergeb­nis dazu füh­re, dass der Klä­ger selbst nach dem Tod des behin­der­ten Soh­nes nicht auf sein etwaig noch ver­blie­be­nes Erbe zurück­grei­fen kön­ne, sei eben­falls nicht sit­ten­wid­rig. Es gebe kei­ne gesetz­li­che Vor­ga­be, die Eltern dazu ver­pflich­te­ten, einem behin­der­ten Kind jeden­falls ab einer gewis­sen Grö­ße ihres Ver­mö­gens einen über den Pflicht­teil hin­aus­ge­hen­den Erb­teil zu hin­ter­las­sen, damit es nicht aus­schließ­lich der All­ge­mein­heit zur Last fal­le. Eine der­ar­ti­ge gesetz­li­che Vor­ga­be sei auch im Sozi­al­hil­fe­recht nicht ent­hal­ten. Ins­be­son­de­re las­se sie sich nicht dem Grund­satz des Nach­rangs der Sozi­al­hil­fe ent­neh­men, den der Gesetz­ge­ber bereits nicht aus­nahms­los umge­setzt und auch unter­schied­lich aus­ge­stal­tet habe. Die recht­li­che Bewer­tung ent­spre­che der höchst­rich­ter­li­chen Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs aus dem Jah­re 1993, die den Gesetz­ge­ber bis­lang zu kei­nen ande­ren rechts­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen ver­an­lasst habe.

Zu berück­sich­ti­gen sei zudem, dass der Sozi­al­hil­fe berech­tig­te behin­der­te Sohn sei­nen Pflicht­teils­an­spruch durch das Aus­schla­gen sei­nes — mit­tels einer Tes­ta­ments­voll­stre­ckung und Nach­erbfol­ge — beschränk­ten Erb­teils ohne wei­te­res hät­te erhal­ten kön­nen. Dass der für Erb­an­ge­le­gen­hei­ten bestell­te Ergän­zungs­pfle­ger des Soh­nes die Erb­schaft nicht aus­ge­schla­gen habe, um dem Sohn — neben der Inan­spruch­nah­me staat­li­cher Leis­tun­gen — künf­tig auch wei­te­re Annehm­lich­kei­ten, wie The­ra­pien und Urlau­be, zu ermög­li­chen, sei inso­weit eben­falls nicht zu bean­stan­den. Es gebe kei­ne recht­li­che Ver­pflich­tung, ein Erbe zu Guns­ten eines Sozi­al­hil­fe­trä­gers auszuschlagen.

Henn riet, das zu beach­ten und in Zwei­fels­fäl­len recht­li­chen Rat ein­zu­ho­len, wobei er u. a. auch auf die Anwälte/ — innen in der DANSEF Deut­sche Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V., — www.dansef.de — verwies.

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Micha­el Henn
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