VGH Baden-Würt­tem­berg, Beschluss vom 04.11.2021, AZ 12 S 3125/21

Aus­ga­be: 11–2021Fami­li­en­recht

Kin­der- und jugend­hilfs­recht­li­che Inob­hut­nah­me eines Neu­ge­bo­re­nen; Ver­hält­nis zu fami­li­en­ge­richt­li­chen- und straf­voll­stre­ckungs­ge­richt­li­chen Rechtsschutzmöglichkeiten

1. Für die Annah­me einer Kin­des­wohl­ge­fähr­dung i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VIII (juris: SGB 8) ist uner­heb­lich, wel­che Ursa­che die Gefahr für das kör­per­li­che, geis­ti­ge oder see­li­sche Wohl des Kin­des hat und wer sie ver­ur­sacht hat. Eine sol­che Gefahr ist gege­ben, wenn die allein sor­ge­be­rech­tig­te Mut­ter eines weni­ge Wochen alten Säug­lings auf­grund ihrer Inhaf­tie­rung an der Aus­übung der elter­li­chen Sor­ge in ele­men­ta­ren Berei­chen der Per­so­nen­sor­ge aus rein tat­säch­li­chen Grün­den gehin­dert ist.

2. Zu einer dar­aus resul­tie­ren­den Situa­ti­on, in der trotz eines vor­an­ge­gan­ge­nen fami­li­en­ge­richt­li­chen Ver­fah­rens eine (erneu­te) Inob­hut­nah­me erfolgte.

3. Für die Beur­tei­lung der Fra­ge, ob eine fami­li­en­ge­richt­li­che Ent­schei­dung i.S.v. § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SBG VIII (juris: SGB 8) recht­zei­tig ein­ge­holt wer­den kann, ist nicht ent­schei­dend, ob das Fami­li­en­ge­richt recht­zei­tig kon­tak­tiert wer­den kann. Maß­geb­lich ist viel­mehr, ob eine fami­li­en­ge­richt­li­che Ent­schei­dung recht­zei­tig hät­te erwirkt wer­den kön­nen, um der Kin­des­wohl­ge­fähr­dung zu begeg­nen. Blo­ße Ver­mu­tun­gen des Jugend­am­tes, dass das Gericht gera­de nicht erreich­bar sei oder eine Ent­schei­dung inner­halb der zur Ver­fü­gung ste­hen­den Zeit nicht tref­fen wer­de, genü­gen dabei nicht. (Rn.33)

4. Die Inob­hut­nah­me muss nicht auf eine aku­te Not­ver­sor­gung beschränkt sein. Die ihr zugleich inne­woh­nen­de sog. Clea­ring-Funk­ti­on kommt bei einer fort­be­stehen­den Ver­hin­de­rungs­si­tua­ti­on zum Tragen. 

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