(Stutt­gart) Will ein Aus­län­der zu sei­nem bereits in Deutsch­land leben­den aus­län­di­schen Ehe­part­ner nach­zie­hen, muss grund­sätz­lich der Unter­halts­be­darf bei­der Ehe­leu­te sowie der mit ihnen zusam­men leben­den min­der­jäh­ri­gen Kin­der gedeckt sein.

Es rei­che nicht aus, wenn der nach­zie­hen­de Ehe­gat­te mit sei­nen Ein­künf­ten bei iso­lier­ter Betrach­tung zwar sei­nen eige­nen Bedarf sicher­stel­len könn­te, er für sei­nen Ehe­part­ner und sei­ne Kin­der aber auf öffent­li­che Sozi­al­leis­tun­gen ange­wie­sen ist. 

Das, so der Nürn­ber­ger Fach­an­walt für Fami­li­en­recht Mar­tin Weis­pfen­ning, Vize­prä­si­dent und Geschäfts­füh­rer „Fami­li­en­recht” der Deut­schen Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung für Erb- und Fami­li­en­recht e. V. (DANSEF) in Stutt­gart, hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (BVerwG) am 16.11.2010 in zwei Urtei­len ent­schie­den. (Az.: BVerwG 1 C 20.09 und 1 C 21.09).

Der Ent­schei­dung lag der Fall eines 37-jäh­ri­gen tür­ki­schen Staats­an­ge­hö­ri­gen zugrun­de, der die Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis als Ehe­gat­te nach § 30 Abs. 1 Auf­ent­halts­ge­setz (Auf­enthG) erstrebt. Er hei­ra­te­te 2002 eine in Deutsch­land leben­de Tür­kin, mit der er drei Kin­der hat. 2005 reis­te er mit einem Visum zum Fami­li­en­nach­zug nach Deutsch­land ein. Nach­dem der Klä­ger für sich, sei­ne Ehe­frau und sei­nen jüngs­ten Sohn ab Sep­tem­ber 2006 Leis­tun­gen nach dem Sozi­al­ge­setz­buch II (SGB II) bezo­gen hat­te, ver­sag­te das beklag­te Land Ber­lin 2008 dem Klä­ger die bean­trag­te Auf­ent­halts­er­laub­nis. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin hat die hier­ge­gen gerich­te­te Kla­ge abge­wie­sen, das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg hat das beklag­te Land hin­ge­gen zur Ertei­lung einer Auf­ent­halts­er­laub­nis ver­pflich­tet. Es war der Auf­fas­sung, dass es für die Siche­rung des Lebens­un­ter­halts genü­ge, wenn der Unter­halts­be­darf des nach­zie­hen­den Aus­län­ders selbst gedeckt sei. Das sei hier der Fall, denn das Ein­kom­men des Klä­gers rei­che mitt­ler­wei­le für sei­nen eige­nen Bedarf aus, wenn auch nicht für den der Ehe­frau und des min­der­jäh­ri­gen Sohnes.

Das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt hat das Urteil des Ober­ver­wal­tungs­ge­richts auf­ge­ho­ben und ent­schie­den, dass ein Anspruch auf Fami­li­en­nach­zug in der Regel vor­aus­setzt, dass jeden­falls der Lebens­un­ter­halt der fami­liä­ren Bedarfs­ge­mein­schaft — hier: des Klä­gers, sei­ner Ehe­frau und des min­der­jäh­ri­gen Soh­nes — ohne Inan­spruch­nah­me öffent­li­cher Sozi­al­leis­tun­gen bestrit­ten wer­den kann, so betont Weispfenning.

Das ist hier nicht der Fall, viel­mehr bezieht die Fami­lie wei­ter­hin Sozi­al­leis­tun­gen nach dem SGB II. Dass es auf den Unter­halts­be­darf der Bedarfs­ge­mein­schaft ankommt, ergibt sich dar­aus, dass das Auf­ent­halts­ge­setz inso­weit auf die Inan­spruch­nah­me von Sozi­al­leis­tun­gen ver­weist, die bei erwerbs­tä­ti­gen Per­so­nen nach den Regeln des SGB II zu ermit­teln sind (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Auf­enthG). Die­ser Ver­weis umfasst grund­sätz­lich auch die dor­ti­gen Regeln über die Hil­fe­be­dürf­tig­keit und die Bedarfs­ge­mein­schaft im Sin­ne von § 9 Abs. 2 SGB II. Dass der Gesetz­ge­ber beim Fami­li­en­nach­zug von einer Gesamt­be­trach­tung der Fami­lie aus­geht, bestä­tigt auch die Rege­lung, nach der beim Fami­li­en­nach­zug Bei­trä­ge der Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen zum Haus­halts­ein­kom­men zu berück­sich­ti­gen sind (§ 2 Abs. 3 Satz 4 Auf­enthG). Die Ein­künf­te des Nach­zie­hen­den die­nen daher nicht der vor­ran­gi­gen Deckung sei­nes eige­nen Bedarfs.

Da es sich bei der Siche­rung des Lebens­un­ter­halts um eine Regeler­tei­lungs­vor­aus­set­zung han­delt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Auf­enthG), bleibt aller­dings zu prü­fen, ob hier­von eine Aus­nah­me zu machen ist. Dies ist ins­be­son­de­re der Fall, wenn höher­ran­gi­ges Recht wie der Schutz von Ehe und Fami­lie oder die uni­ons­recht­li­chen Vor­ga­ben der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rungs­richt­li­nie (Richt­li­nie 2003/86/EG) es gebie­ten. Hier­bei ist neben dem Grad der Inte­gra­ti­on der Fami­lie in Deutsch­land auch zu berück­sich­ti­gen, wie hoch der ver­blei­ben­de Anspruch der Fami­lie auf Sozi­al­leis­tun­gen ist und in wel­chem Umfang der Nach­zie­hen­de zum Fami­li­en­un­ter­halt beiträgt.

In die­sem Zusam­men­hang hat der Senat aus­ge­führt, dass bei der Berech­nung des Unter­halts­be­darfs im Anwen­dungs­be­reich der Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rungs­richt­li­nie der Frei­be­trag für Erwerbs­tä­ti­ge (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. § 30 SGB II) nicht zu Las­ten des Aus­län­ders anzu­rech­nen ist. Inso­weit ent­sprach der Senat der neue­ren Recht­spre­chung des Gerichts­hofs der Euro­päi­schen Uni­on. Bei der Wer­bungs­kos­ten­pau­scha­le (§ 11 Abs. 2 Satz 2 SGB II) wird dem Gebot der indi­vi­du­el­len Prü­fung des tat­säch­li­chen Bedarfs dadurch Rech­nung getra­gen, dass der Aus­län­der einen gerin­ge­ren Bedarf als die gesetz­lich ver­an­schlag­ten 100 € nach­wei­sen kann. Da das Beru­fungs­ur­teil zum Vor­lie­gen eines Aus­nah­me­fal­les kei­ne Fest­stel­lun­gen ent­hält, war das Ver­fah­ren zur wei­te­ren Auf­klä­rung an das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt zurückzuverweisen.

In einem wei­te­ren Ver­fah­ren (BVerwG 1 C 21.09) hat der 1. Revi­si­ons­se­nat ent­schie­den, so Weis­pfen­ning, dass es auch für die Ertei­lung einer Nie­der­las­sungs­er­laub­nis nach § 9 Auf­enthG, also eines unbe­fris­te­ten natio­na­len Auf­ent­halts­ti­tels, erfor­der­lich ist, dass der Lebens­un­ter­halt der fami­liä­ren Bedarfs­ge­mein­schaft, in der der Aus­län­der lebt, ohne Inan­spruch­nah­me öffent­li­cher Sozi­al­leis­tun­gen bestrit­ten wer­den kann. Hier sind der Frei­be­trag für Erwerbs­tä­ti­ge und die Wer­bungs­kos­ten­pau­scha­le wei­ter­hin zu Las­ten des Aus­län­ders anzusetzen.

Weis­pfen­ning emp­fahl, dies zu beach­ten und in Zwei­fels­fäl­len Rechts­rat ein­zu­ho­len, wobei er u. a. auch auf die auf Fami­li­en­recht spe­zia­li­sier­ten Anwäl­tin­nen und Anwäl­te in der DANSEF Deut­sche Anwalts‑, Notar- und Steu­er­be­ra­ter­ver­ei­ni­gung  für Erb- und Fami­li­en­recht e. V —  www.dansef.de — verwies.

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Mar­tin Weis­pfen­ning
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